Anne beugt sich tief über das Blatt Papier vor ihr auf dem Tisch. Mit bunten Finelinern malt sie Formen, die sich ineinander verweben, ineinanderfließen, wachsen. Ihr Gesichtsausdruck wirkt konzentriert, aber entspannt. Sie nimmt gemeinsam mit anderen Menschen Teil an einem meditativen Zeichenworkshop.
Hätte man sowohl vor dem Start als auch am Ende verschiedene biologische Faktoren von Stress bei ihr gemessen und verglichen, würde man feststellen, dass dazwischen Welten liegen. Man hätte gesehen, dass im Laufe des Zeichnens ihr Blutdruck und Cortisolspiegel sank und sie tiefer und langsamer atmete.
Zeichnen heilt, beruhigt, reguliert. Man kann Stress buchstäblich wegzeichnen. Vor dem Workshop fühlte sich Anne durch eine anstrengende Woche, zu wenig Schlaf und viele Herausforderungen im Job sowie im Alltag angespannt, erschöpft, gereizt und „sehr in ihrem Kopf“.
Am Anfang der Übung, einfache Formen intuitiv fließen zu lassen, hörte Anne ihren Verstand noch kritisieren, kommentieren und zweifeln. Doch nach und nach spürte sie, wie sie ruhiger wurde. Blockierte Energie und Spannungen im Nervensystem fingen an, sich zu entladen. Sie spürte ihren Körper mehr und die Gedanken, die to-do Listen für morgen und das unangenehme Gespräch mit dem Chef traten weit in den Hintergrund. Sie fiel in den „Flowzustand“.
Flow ist ein zeitloser Raum voller Präsenz, ein echtes Geschenk für die Menschen, die oft in der Vergangenheit oder Zukunft hängen. Es ist unser Idealzustand, in dem so eine körperliche, seelische und geistige Balance erreicht wird, dass Zeitempfinden und Selbstwahrnehmung in den Hintergrund treten.
„Alles fließt einfach“ sagen Kreative oft. Es ist ein natürlicher Zustand der Mühelosigkeit, weder Unterforderung/Unterspannung („Ich bin so fertig von der Arbeit, ich kann nur noch auf der Couch netflixen“) noch Überforderung/Überspannung („Ich muss noch 1000 Dinge erledigen und habe 10 Minuten Zeit dafür“). Tatsächlich passieren in dieser wertvollen „Versunkenheit“ besondere Dinge.
Uns wird eine Tür geöffnet in eine Welt, wo absolute Konzentration und Ideenreichtum herrscht. Hier übernimmt unser natürliches Wesen, nicht unser Ego. So, wie es eigentlich sein sollte. Fähigkeiten und Anforderungen fallen in Gleichtakt, in Gleichklang.
Anne erzählt, dass beim agendafreien Zeichnen plötzlich eine simple Freude in ihr aufstieg, die sie an das freie Spielen ihrer Kindheit erinnerte. In diesem Zustand hat sie keinen Zugang mehr zu Problemen - Stattdessen tauchen wie aus dem Nichts plötzlich Ideen und Problemlösungen aus ihrem Innern auf, an die sie im gestressten Zustand nicht gedacht hätte.
Wissenschaftler haben festgestellt, dass dieser Zeichen-Flow eine effektivere Kommunikation zwischen bestimmten Regionen des Gehirns zu ermöglichen scheint. Der frontale Kortex ist aktiver, wir können Aktivitäten besser koordinieren. Man hat festgestellt, dass Menschen im Flow-Zustand um 500 Prozent produktiver sind.
In einer Zeit, wo die meisten von uns im Dauerlauf leben, Zukunftsängste haben und nicht mehr wissen, wie sie allem gerecht werden sollen, ist Zeichnen und Malen eine wirksame und oft unerkannte Medizin. Der Mal-Flow kann auf vielen Ebenen unterstützen: Regulieren, beruhigen, Stress abbauen, Burnout vermeiden oder eine Heilung vorantreiben.
Auch in der Traumatherapie wird Zeichnen und Malen genutzt: Indem man seine Gefühle darstellt, bekommt man einen besseren Zugang zu sich selbst. Das Visualisieren innerer Vorgänge kann helfen, Probleme zu erkennen und Bewältigungsstrategien zu entwickeln. Mit gemalten Bildern kann man in Kontakt mit sonst schwer zugänglichen Schichten kommen, die aber unsere Gefühle und Handlungen stark regulieren. Befürchtungen, Hoffnungen und Wünsche können sich aus tieferen Ebenen zeigen und wir ihnen mit voller Erlaubnis, Unvoreingenommenheit und Offenheit für Veränderung begegnen.
Wer regelmäßig zeichnet, verändert sogar sein Gehirn. In einer Studie der Neurologischen Klinik des Universitätsklinikums Erlangen (hier geht es zum Artikel in Originalsprache) konnte bei Probanden, die einen zehnwöchigen Kunst- und Zeichenkurs durchliefen, anschließend eine merklich höhere Stressresistenz und eine aufgezeigte Erhöhung der neuronalen Verbindungen festgestellt werden.
Durch intuitives Zeichnen kann auch ungesunder Perfektionismus losgelassen werden. Damit die heilsame Wirkung greift, muss keine high-end Zeichnung entstehen.
„Im Gegenteil“, sagt Anne. „Nicht zu wissen, welche Formen als nächstes aus meiner Hand fließen würden, hat mich erst wieder in diese spielerische, neugierige Leichtigkeit des inneren Kindes gebracht.“
Einfach nur kreativ sein, um des Kreativseins Willen, einfach Sein ohne Agenda, ohne etwas abliefern zu müssen, dafür beurteilt zu werden, die simple Freude des Seins: All das kannten und konnten die meisten von uns als Kind wunderbar - Damit wurden wir geboren, bevor uns Leistungsdruck, Regeln und Normen beigebracht wurden.
Es wurde gezeigt, dass Zeichnen und Malen zu den „visuellen Aktivitäten” gehören, die die rechte Gehirnhälfte aktivieren. Unsere wunderbare rechte Gehirnhälfte kontrolliert das bildhafte Denken und bietet dabei einen viel direkteren Zugang zu Körperprozessen, als das Denken in Worten. Sie verarbeitet alles, was mit Emotionen, Kreativität, Sinneseindrücken, Ideen, Fantasie zu tun hat (Buchtipp: Der Buchklassiker "Das neue Garantiert zeichnen lernen: Kreative Kräfte wecken” von Betty Edwards erklärt, wie der Wechsel zur rechten Gehirnhälfte funktioniert und nutzt dieses Wissen, um absoluten Anfängern das realistische Zeichnen beizubringen!).
Beim Malen finden wir Zugang zu unserer Vorstellungskraft, tieferen Prozessen, Befürchtungen, Wünschen und Hoffnungen. Malen ist ein emotionales heilsames Ereignis, immer. Farben und Formen bewegen uns und berühren unsere tiefe Körperintelligenz. Mit gemalten Bildern kann man in Kontakt mit sonst schwer zugänglichen Schichten kommen, die aber unsere Gefühle und Handlungen stark regulieren. Dinge können sich aus tieferen Ebenen zeigen. Spielerisch können wir ihnen mit voller Erlaubnis, Wertschätzung, Unvoreingenommenheit und Offenheit für Veränderung begegnen.
Mit anderen Worten: Wer gestresst ist, wer sich blockiert fühlt, überfordert, einsam, depressiv oder lustlos, sollte zeichnen!
Zeichnen ist ein wunderbares Tool, um Stress und Burnout entgegenzuwirken oder zu heilen, begleitend zu anderen Möglichkeiten, wie Zeit in der Natur zu verbringen, Somatic Experiencing oder Gesprächen mit einem Therapeuten.
Wenn man einmal versteht, was es für ein Geschenk an Körper, Geist und Seele ist, wird man Zeichnen gern ein wenig Zeit einräumen. Selbst die, die sagen „ich bin jetzt schon mit meinen Aufgaben überfordert“, kann man beruhigen: Ein kleines Notizbuch und einen Stift in der Handtasche dabeihaben und einfach mal 5 Minuten ohne Ziel zu skizzieren, schon das hilft!
- 🌟 Gut zu wissen: Unsere wunderbaren, hochintelligenten Körper versuchen alles, um uns im Alltag zu unterstützen. Wir können viel wegstecken. Aber wenn die Körperintelligenz realisiert, dass eine Möglichkeit zur Regulierung und Entladung gegeben ist, auch wenn das Fenster winzig ist, wird sie es nutzen. Gähnen, tränende Augen und verschiedenste andere Empfindungen des Körpers sind ein gutes, gesundes Zeichen.
Gähnen zum Beispiel ist ein natürlicher Reflex, der unglaublich wichtig für unsere Gesundheit und unser Wohlbefinden ist. Es ist eine natürliche Möglichkeit, angestaute Energie in unserem Körper zu bewegen und zu integrieren. Als Teil der parasympathischen Reaktion des Nervensystems hilft Gähnen dabei uns zu entspannen und Stress und Anspannung abzubauen. Um die im Körper entstandenen Stresshormone und die aufgestaute Energie abzubauen, hilft der Parasympathikus diese Energie freizusetzen – vorausgesetzt wir lassen es zu. (Spoiler: Wir lassen es oft nicht zu).
Anne fühlt sich nach dem Zeichen-Flow tief entspannt. Es ist gar nicht mehr wichtig, was genau auf dem Papier entstanden ist. „Ein Gefühl wie nach einem Tag im Spa“ sagt sie. Sie hat ihren Körper so gespürt wie lange nicht mehr und alle Empfindungen, die beim Malen hochgekommen sind, einfach erlaubt und angenommen. Wieviel Anspannung sie im Alltag mit sich herumschleppt, wurde beim Zeichnen deutlich: „Ich habe erstaunlich viel gegähnt und merke, dass es durch das Lösen von Blockaden kommt und gar nicht wirklich von Müdigkeit.“
Oft glauben wir, dass wir hohe Stressphasen gut aushalten. Dabei sind wir uns nicht bewusst, dass wir durch Leistungsdruck, viele Anforderungen, negative Schlagzeilen und andere Stressoren in einem fast permanenten subtilen „Fight-or-Flight Zustand“ stecken. Ein hohes Arbeitspensum, Kritik, mangelnde Wertschätzung oder Berührung, Lärm, Schlafmangel, zuviel Bildschirmzeit, zu wenig Auszeiten in der Natur, unerwartete Veränderungen und andere Faktoren bringen unser System unter Daueranspannung und aus der Balance. Es tut, was es kann bis es nicht mehr kann. Oft erhalten wir Warnzeichen, oft ignorieren wir sie auch. Wer noch dazu ungeloeste Traumata aus frühen Lebensphasen mit sich trägt, kommt irgendwann an den Punkt, wo man bewusst stoppen, pausieren, langsamer machen und sich dem Körper zuwenden darf (muss).
Zur Ruhe kommen. Perfektionismus ablegen. Fünfe gerade sein lassen. Und sich auf das Geschenk heilsamer, simpler Kreativität besinnen.
Zeichnen, sketchen, malen, allein oder in der Gruppe. Dabei den Körper einladen, sich zu erholen und neue Energie und Freude zu tanken. Alles erlauben, was hochkommt. Wieder spielerisch werden. All das bringt uns näher zu uns selber. Und damit auch näher zu anderen.
All das heilt.
Tipp: Bei LIVARTO, der Nr. 1 Online-Zeichenakademie in Deutschland, geht es nicht nur um das Zeichnenlernen, sondern auch um die Entdeckung der lebensverändernden Kraft des Zeichnens. Deswegen bieten wir in unserem umfangreichen Programm auch Live-Sessions vom meditativen Zeichnen mit unseren erfahrenen Lehrer*innen.
Spricht dir das an? Dann komm uns besuchen! Unter diesem Link kannst du mehr über unsere Angebote erfahren!