Im vorherigen Artikel der Serie über die Grundlagen des Zeichnens (Zeichnen lernen für Anfänger | Perspektive | Grundlagen leicht gemacht) haben wir uns Tipps und Übungen für das perspektivische Zeichnen angesehen – Nun wollen wir uns einer weiteren Grundlage des Zeichnens widmen: Es geht um Form & Proportion!
“Formen”, “Proportionen”… Das sind ziemlich gebräuchliche Worte, die in unserem Alltag häufig vorkommen, auch wenn es nicht um Zeichnen und Malen geht. Denn Formen und Proportionen gehören zu den wichtigsten Informationen, die wir in jedem Moment durch unsere Augen unterbewusst wahrnehmen. Wir bevorzugen eine Blumenvase vor einer anderen, weil wir ihre Form angenehmer finden, und von Proportionen hatten wir schon im Matheunterricht genug.
Aber was sind Proportionen in der Kunst?
Mathematische und künstlerische Proportionen wurden während der Renaissance meisterhaft durch die Zusammenarbeit des Mathematikers Luca Pacioli und des Künstlers Leonardo da Vinci in Florenz vereint. Für das erste Mal seit der Antike versuchten westliche Künstler und Intellektuellen, eine goldene Regel für die harmonische Darstellung der Proportionen zu ermitteln.
1498 erschien die erste Ausgabe des Buches 'De divina proportione' ('Die Göttliche Proportion') von Pacioli, das mithilfe der wunderschönen Illustrationen von Leonardo da Vinci die Verwendung der mathematischen Proportionen in der Kunst und Architektur thematisierte.
Schon einige Jahre früher, in 1487, hatte Leonardo den berühmten Vitruvianischen Mann entworfen. Diese renommierte Skizze basiert auf eine Theorie des altrömischen Architekts Vitruvius: In seinem 'De Architectura' schlug Vitruvius vor, dass eine menschliche Figur perfekt in einen Kreis und ein Quadrat passen könne und dass -da die Höhe des menschlichen Körpers dem gleichen Maß entspreche, wie die Länge seiner ausgestreckten Arme -die menschliche Figur mit einem perfekten Quadrat vergleichbar sei, dessen Seiten gleich lang sind.
Nur gab es keine Illustrationen zu Vitruvius‘ ausgezeichnetem Traktat – Das Problem löste Leonardo mit seinem Vitruvianischen Mann, und das grundsätzliche Thema der harmonischen Proportionen in der Kunst wurde mit ihm zum Evergreen!
Da alle Künstler*innen die Proportionen ihrer Motive studieren müssen, setzten sich die Diskussionen über die Rolle der Proportionen in der Kunst auch lange nach Pacioli und Leonardo fort. Daraus hat sich eine Vielzahl an Studien ergeben, die bis in unsere Zeit fortbestehen.
Die Schönheit der Kunst liegt darin, dass wir uns in jedem Bild die Proportionen aussuchen können, die uns gefallen, um unterschiedliche Effekte und Stile zu erzielen. Doch gibt es einen Meister, dessen Arbeit Generationen von Anfängern gelehrt hat, wie man sich einfach und unkompliziert einem Standard menschlicher Proportionen nähert: Andrew Loomis.
Loomis' Buch 'Figure Drawing for All It’s Worth' ('Das figürliche Zeichnen') aus dem Jahr 1943 stellt verschiedene Proportionen des menschlichen Körpers vor, gemessen durch Überprüfung, wie oft die Länge des Kopfes der Figur in die Länge des Körpers passt. Seine Erkenntnisse kann man in einem solchen Diagramm zusammenfassen:
Die "normalen" Proportionen - die realistischsten - sind diejenigen, bei denen der Körper so lang ist wie 7 ½ Köpfe. Dies ist jedoch laut Loomis "nicht sehr zufriedenstellend": Vielleicht überrascht es nicht, aber wir Künstler*innen genießen es, die Realität zu verschönern! Oft strecken wir unsere Figuren bis sie 8 Köpfe lang sind, um harmonischere Proportionen zu schaffen (Hinweis: Bei dieser Zeichnung kamen keine Figuren zu Schaden!).
Die Überprüfung der Proportionen der von uns gezeichneten Körper mit diesen einfachen Regeln ermöglicht es uns, uns selbst Feedback zu geben und sicherzustellen, dass wir nicht zu weit von unseren gewünschten Ergebnissen entfernt sind. Natürlich sind die Möglichkeiten grenzenlos: Loomis selbst präsentiert in seinem Buch nicht nur die normalen und die idealistischen Proportionen, sondern auch die Mode- und heroischen Proportionen (entsprechend 8 ½ und 9 Köpfen hoch).
Und, ganz wichtig: Auch für Comics oder sehr stilisierte Illustrationen ist das Beherrschen der Proportionen fundamental. Wir können die Regeln des Realismus nur dann erfolgreich brechen, wenn wir sie gut kennen!
Wir haben etwas mehr über die Geschichte und Relevanz der Proportionen in der Kunst erfahren… Jetzt ist es an der Zeit, den Bleistift in die Hand zu nehmen und einige einfache Techniken zu erlernen, um die richtigen Proportionen in unsere Zeichnungen zu integrieren!
Hier ist der einfachste, aber gleichzeitig schwierigste Tipp von allen, mit dem auch erfahrene Künstlerinnen und Künstler zu kämpfen haben: Zeichnen heißt Sehen! Wenn du nach Vorlage zeichnest (und das Nutzen von Referenzbildern ist auf jeden Fall für Anfänger, aber auch für Profis empfehlenswert), solltest du vergessen, was du z.B. über eine Katze weißt, und einfach die Katze zeichnen, die du siehst.
Das ist unglaublich wichtig, weil wir im Laufe unseres Lebens unsere eigenen symbolischen, vereinfachten Vorstellungen darüber entwickelt haben, wie die Dinge in unserer Welt aussehen. Wenn die meisten von uns eine Katze aus der Vorstellung zeichnen, denken wir an ihre dreieckigen Ohren, die großen Augen und die schlanke Figur. Unsere Zeichnung könnte ungefähr so aussehen:
Aber wenn wir uns ein Foto einer Katze ansehen und sie realistisch zeichnen wollen, müssen wir darauf achten, unsere eigenen gelernten Symbole nicht in die Zeichnung zu übertragen. Wir werden feststellen, dass die Proportionen einer Katze eher so aussiehen:
Vergiss also niemals: Symbole eignen sich hervorragend für stilisierte Zeichnungen, aber durch das Lernen, das eigentliche Objekt zu sehen, kannst du herausfinden, wie du deine Zeichnungen noch effektiver gestalten kannst – ob realistisch oder nicht! Studiere die Welt und lerne, sie wie ein Künstler oder eine Künstlerin zu sehen.
Details beim Zeichnen machen Spaß! Als Künstler*innen möchten wir uns möglichst schnell um die feinsten Details kümmern, um unsere Vision zum Leben zu erwecken.
... Doch leider vergessen wir dabei oft den grundlegenden Aufbau unserer Figuren – und die Proportionen können schnell verzerrt werden (aber die Details sehen dann wunderschön aus 😉).
Die einfache Lösung: Erstmal die grundlegenden Formen unseres Motivs erkennen und darstellen. Das bedeutet, wir zerlegen die komplexen Formen, die wir in der Welt sehen, in einfache geometrische Formen, die wir uns leichter vorstellen können. Dabei achten wir besonders auf die Proportionen und Größenverhältnisse. Erst wenn diese stimmen, können wir uns auf unsere beliebten Details und Texturen freuen!
Von dieser Methode haben wir schon einen Vorgeschmack bekommen, als wir über Loomis gesprochen haben: Loomis hatte den Kopf als „Größeneinheit“ für die Proportionen des menschlichen Körpers genommen (z.B. hatte er festgestellt, dass ein durchschnittlicher Menschenkörper so lang ist, wie 7 ½ Köpfe).
Das Schöne daran ist: Es müssen nicht unbedingt Köpfe sein! Wenn wir ein Bild nachzeichnen, können wir eine beliebige Einheit aus dem Bild nehmen und sie nutzen, um die Größenverhältnisse innerhalb des Bildes zu messen.
Ein weiterer Klassiker ist: In der Frontalansicht entspricht der Abstand zwischen den Augen der Breite eines Auges. Solche Faustregeln kannst du beim Entwerfen deiner Charaktere nutzen, um sicherzustellen, dass die Proportionen stimmen. Wichtig ist auch, dass du diese Regeln gezielt brichst, wenn du als Fortgeschrittene*r interessante Character Designs erstellen möchtest!
Diese Methode ist weniger bekannt, aber sie kann ein wahrer Rettungsanker sein!
Deine Zeichnungen bestehen nicht nur aus den „positiven Formen“ der Objekte, die du darstellen möchtest (im Fall der Katze: Kopf, Körper, Pfoten, usw.), sondern auch aus den „negativen Formen“ – den leeren Flächen um diese Objekte. Um die richtigen Proportionen unserer Objekte darstellen zu können, müssen wir manchmal auch die negativen Formen beobachten und sicherstellen, dass sie nicht von unserer Vorlage abweichen. Durch negative Formen können wir ganz einfach „Fehler“ in unserer Zeichnung selbst entdecken und korrigieren.
Also, im Zweifel gilt: Wirf einen Blick auf deine negativen Formen!
Hier hast du einige Tipps & Tricks gelernt, die dir dabei helfen werden, die richtigen Proportionen in deinen Zeichnungen darzustellen. Im nächsten (und letzten!) Artikel dieser Serie geht es um das Zeichnen von Licht und Schatten sowie Tonwerten - wichtige Schritte, um die Dreidimensionalität deiner Zeichnungen zu steigern.
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